CARE – zwischen Anspruch und Realität

Aus der Perspektive des Rechts

Der Anspruch des Patienten und wie wir eine effektive Patientenbeteiligung in Deutschland erreichen

Ein Beitrag von Prof. Dr. Dr. Christian Dierks

Prof. Dr. Dr. Christian Dierks ist Fachanwalt für Sozialrecht und Medizinrecht, Facharzt für Allgemeinmedizin und Professor für Gesundheitssystemforschung an der Charité Berlin. In dem change4RARE-Beitrag erörtert er aus seinem juristischen Blickwinkel das Thema „PATIENT– Selbstbestimmung versus Fremdbestimmung“ bei der Versorgung von Patienten mit seltenen Krankheiten. Christian Dierks rückt in diesem Kontext vier Aspekte in den Fokus: den Patienten und seine Rolle beim Datenmanagement, Patientenverantwortung, Patientenpartizipation und zuletzt Patient Empowerment. Er kommt zu folgender Schlussfolgerung:

„Das Gesundheitssystem kann von der Einbindung des Wissens der Patienten erheblich profitieren und diese Verbesserung dann auch direkt an den Patienten zurückgeben.“

In den vergangenen Jahren hat der Gesetzgeber viel dafür getan, dass die Versorgung von Patienten besser strukturiert und damit effizienter wird. Die Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung wurde vorangetrieben, die ambulante spezialfachärztliche Versorgung wurde eingeführt, die die seltenen Krankheiten besonders berücksichtigt. Aber auch das Recht des Patienten wurde in besonderer Weise in den Fokus gerückt. Das Patientenrechtegesetz trägt diesen Anspruch sogar im Namen. Insbesondere die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) hat eine Diskussion über Patientenrechte und ihre informationelle Selbstbestimmtheit in Bewegung gesetzt. Und die Möglichkeiten, die durch die zunehmende Digitalisierung entstanden sind, versetzen den Patienten mehr als je zuvor in die Lage, über sich und seinen Umgang mit Erkrankungen zu bestimmen. Insbesondere Patienten mit seltenen Erkrankungen tun sich allerdings schwer, ihr Recht auf adäquate Versorgung und Lebensqualität einzufordern, denn aussagekräftige Studien und evidenzbasierte Versorgungsdaten stehen nur selten zur Verfügung. Das Modellvorhaben der Genomsequenzierung, das 2023 beginnen wird, ist hierfür ein erster guter Anknüpfungspunkt.

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Kernbotschaften

aus dem Beitrag von
Prof. Dr. Dr. Christian Dierks

Partizipative Entscheidungsfindung ist notwendig zur Identifikation einer geeigneten Therapie für den Patienten

Die Präferenzen, Interessen und Wünsche der Patienten variieren untereinander und können nicht verallgemeinernd auf ein Patientenkollektiv übertragen werden. Zur Bereitstellung einer adäquaten Therapie ist es daher notwendig, den Patienten bei der klinischen Entscheidungsfindung teilhaben zu lassen. Es wird demnach verstärkt eine Patientenpartizipation gefordert.

Patient muss stärker in die Datengenerierung und -strukturierung eingebunden werden

Die Basis einer jeden klinischen Entscheidungsfindung sind Daten und Patienteninformationen. Hierfür ist ein optimales Datenmanagement notwendig, wobei derzeit dem behandelnden Arzt eine entscheidende Rolle zukommt. Doch sollte der Patient stärker in die Datengenerierung und -strukturierung eingebunden werden. Ein wichtiger Schritt stellt in diesem Zusammenhang die Einführung der elektronischen Patientenakte dar. Im Optimalfall erhält jeder Patient eine solche Akte, obgleich ihm natürlich freigestellt werden sollte, ob diese Akte genutzt werden darf.

Welches Maß an Eigenverantwortung soll dem Patienten übertragen werden?

Mit Blick auf die Ressourcen der Solidargemeinschaft ist es mit einer Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben der GKV von 50 Milliarden € schlecht bestellt. Die künftigen Bedarfe der Versichertengemeinschaft zu decken, wird zu einer der größten Herausforderungen der gesetzlichen Krankenkassen werden. Daher könnte die Eigenverantwortung der Patienten zunehmend in den Fokus rücken, in dem Sinn: Was ist denn nun gerechter? Die Ressourcen der Solidargemeinschaft für Patienten mit Diabetes Typ 2 einzusetzen, für Low Cost Pharmaceuticals oder bei den Patienten einzusetzen, die einen angeborenen Enzymmangel haben, den sie überhaupt nicht verantworten konnten?

Stimmrechte für die Patientenvertretung schaffen

Der G-BA als Beschlussgremium besteht neben Vertretern der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen auch aus einer Patientenvertretung. Durch die Patientenbeteiligungsverordnung wurden die maßgeblichen Organisationen benannt und die Vertreter bestellt. Sie haben allerdings nur ein Fragerecht bzw. ein Diskussionsrecht. Wir wissen, dass der G-BA diese Fragenrechte und Diskussionsrechte der Patientenvertreter und der bei ihnen vertretenden Organisationen sehr ernst nimmt und dass keine Aussprache abgewürgt wird, solange nicht auch dieser Diskurs mit den Patienten sichergestellt ist. Aber es gibt nach wie vor kein Stimmrecht. Und der Grund dafür ist: Es fehlt an der demokratischen Legitimation dieser Patientenvertreter.

Patient Empowerment

Damit der Patient als sachkundige Person an relevanten Prozessen mitwirken kann, bedarf es ein Patient Empowerment. Eine gewisse Systemkompetenz über die Funktionsweise des Gesundheitssystems sowie eine Gesundheits- bzw. Krankheitskompetenz sind im Zusammenhang der Befähigung einer Partizipation der Patientenvertreter in Entscheidungsprozesse relevante Voraussetzungen. Verhandlungs- und Kommunikationskompetenzen sind zudem unerlässlich, um Entscheidungsträger für das eigene Anliegen zu gewinnen.