PATIENT – Selbstbestimmung versus Fremdbestimmung

Aus der
Perspektive der Patientenvertretung

Wie aus passiver Betroffenheit aktive Selbstbestimmung wird

Ein Interview mit Claas Röhl

„Man sucht sich nicht aus, Patientenvertreter zu werden, sondern das Leben sucht sich die Patientenvertreter aus.“ Claas Röhl hat den Verein NF Kinder gegründet und setzt sich für Menschen mit der unheilbaren Erkrankung Neurofibromatose in Österreich ein. Als Vater einer betroffenen Tochter ist es sein höchstes Anliegen, die dringend notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Familien umzusetzen. Mit dem Verein NF Kinder wird in die notwendige Infrastruktur investiert, um eine angemessene gesundheitliche Mindestversorgung zu gewährleisten, nachhaltige Forschung zu ermöglichen und Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Durch eine Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien konnte das erste österreichische Expertisezentrum für Neurofibromatose gegründet werden.

Es wäre ganz dringend notwendig, dass die Gesundheitspolitik auch die gesundheitsökonomischen Ausmaße von seltenen Erkrankungen versteht und Maßnahmen trifft.

Der Wunsch, mehr über die Erkrankung zu erfahren, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen und herauszufinden, was in der Forschung passiert und wie man sich konstruktiv einbringen kann, ist häufig die erste Triebfeder für die Gründung einer Patientenorganisation. Patientenvertreter spielen eine zunehmend wichtige Rolle im Management von Krankheiten, aber auch in der Forschung und im Zulassungsprozess von Medikamenten. Dennoch ist der Einfluss auf politische Entscheidungen, die das Gesundheitssystem und Versorgungs- oder Finanzierungsfragen betreffen, noch gering. Im Hinblick auf die seltenen Erkrankungen wird das Engagement der Patientenorganisationen umso wichtiger.

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Kernbotschaften

aus dem Interview mit
Claas Röhl

Situation von Menschen mit Neurofibromatose verbessern

Der Initialgedanke, um NF Kinder zu gründen, war der Wunsch, die Situation von Menschen mit Neurofibromatose zu verbessern. Unser großes Ziel war, zusammen zu arbeiten, unseren Wert als Patientenorganisation, als Partner zu zeigen und eine Spezialambulanz oder ein Expertisezentrum für Kinder und Jugendliche mit Neurofibromatose aufzubauen. Das ist uns 2018 gelungen.

Grundlage für nachhaltige Forschungsarbeit

Wir konnten die Wartezeiten extrem verkürzen, die bisher ca. 3 Monate betragen haben und generell die Versorgung ganzheitlich verbessern. Wir konnten die Grundlage für eine nachhaltige Forschungsarbeit schaffen und Fort- und Ausbildungsmaßnahmen setzen, sodass junge Nachwuchsmediziner, Forscherinnen und Psychologen in das Krankheitsbild der NF eingeführt werden können. Wir konnten auch das erste pädiatrische Rehabilitationsangebot für Kinder und Jugendliche mit Neurofibromatose etablieren, ein fünfwöchiges Konzept für ein Rehabilitationsprogramm, als Grundlage für nachhaltige Forschungsarbeit.

Entwicklung von klinischen Leitlinien

Im Jahr 2020 haben wir zusammen mit dem europäischen Referenznetzwerk begonnen, klinische Leitlinien für das Management von NF-1-assoziierten Tumoren zu entwickeln. Wir haben ein interdisziplinäres Team von Ärztinnen, aber auch Patientenvertretern zusammengestellt, um darüber zu sprechen, welchen Umfang die Leitlinien haben sollen, und wer daran mitarbeiten soll. Was tut man, wenn es wenig Evidenz gibt? Am Anfang war natürlich die Literaturrecherche ein wesentlicher und zeitintensiver Punkt. Das heißt, die Literaturrecherche hat die Lücken in der Evidenz aufgezeigt und auch ganz wichtige Schritte für die Forschung vorhergesagt.

Forschungsprojekt liefert wichtige Daten

Spätestens im Volksschulalter, wenn es ums Lesenlernen, schreiben lernen, rechnen lernen geht, sind Kinder, die hier Defizite aufweisen, schnell auffällig. In Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien haben wir unser Forschungsprojekt „Fit für Schule und Alltag trotz NF 1″ aufgesetzt, Dieses Projekt haben wir 2016 gestartet und es hat fortlaufend Daten erhoben. Einige Teilergebnisse konnten wir bereits publizieren und auch schon auf internationalen Kongressen vorstellen. Das Ziel ist es, hieraus Leitlinien zu entwickeln, wie die psychologische Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Neurofibromatose Typ 1 ausschauen muss.

Gesundheitsökonomische Ausmaße von seltenen Krankheiten

Es ist dringend notwendig, dass die Gesundheitspolitik auch die gesundheitsökonomischen Ausmaße von seltenen Erkrankungen versteht und Maßnahmen trifft; denn ungefähr 5% der allgemeinen Bevölkerung sind von einer seltenen Erkrankung betroffen. Das sind ungefähr 30 Millionen Menschen in Europa. Ich hoffe, dass wir noch viele gesundheitsökonomische Studien sehen werden, die zeigen, was die langfristigen Kosten sind, wenn man untätig bleibt, wenn man verspätet Diagnosen stellt, wenn man nicht rechtzeitig intervenieren kann, wenn man keine Kontroll- und Screeningprogramme ins Leben ruft. Hier ist der erste wichtige Schritt, dass die Gesundheitspolitik Geld in die Hand nimmt, um die Tätigkeiten der Expertisezentren zu unterstützen.