PATIENT – Selbstbestimmung versus Fremdbestimmung

Aus der Perspektive der Politik

Die Reform des Gesundheitssystems darf nicht zu Lasten der Patienten mit seltenen Krankheiten gehen!

Ein Interview mit Martina Stamm-Fibich

Martina Stamm-Fibich ist Politikerin. Seit 2013 ist sie Mitglied des deutschen Bundestages, seit 2018 Patientenbeauftragte der SPD, Mitglied des Ausschusses für Gesundheit und seit Dezember 2021 Vorsitzende des Petitionsausschusses. Sie ist Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für die Themen seltene Erkrankungen und G-BA-Reform, Heil- und Hilfsmittel, Arzneimittel, Impfen sowie Medizinprodukte und Patientenrechte.

„Grundsätzlich möchte ich, dass die gute Versorgung mit den Orphans in Deutschland weiter so läuft, und deshalb ist auch mein Appell an die Industrie, dass sie mit eingebunden wird, den Prozess konstruktiv begleitet. Ich möchte, dass die Versorgung auch weiterhin so gut bleibt, wie sie ist.“

Nach der starken finanziellen und personellen Belastung der Sozialsysteme durch die Pandemie muss das Gesundheitssystem reformiert werden; dabei können aus Sicht von Martina Stamm-Fibich die digitalen Möglichkeiten, eine bessere Vernetzung der Zentren, aber auch die enge Einbindung der Patient:innen und ihrer Angehörigen sowie eine gute Kommunikation eine wichtige Rolle bei Patienten mit seltenen Krankheiten spielen. Für die sieht sie eigene Versorgungsthemen, wie einen Zentren-Zuschlag und die Verbesserung der ASV-Prozesse, die sie in der aktuellen Legislaturperiode angehen möchte.

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Kernbotschaften

aus dem Interview mit
Martina Stamm-Fibich

Große Palette von Versorgungsthemen

Grundsätzlich sehe ich, dass wir uns der ganzen Palette der Versorgungsthemen widmen müssen. Wir brauchen den Erhalt von flächendeckender Versorgung, den Ausgleich vom Stadt-Land-Gefälle und wir brauchen auch weiterhin den Fokus auf die Qualität in der Versorgung. Die Patientenzentrierung und -beteiligung ist für mich ein wichtiger Punkt. Die Stärkung der Patientenrechte ist ein großes Thema, das haben wir auch im Koalitionsvertrag verankert. Darüber hinaus wird es eine Reform des G-BA geben und die Mitbestimmung der Patienten wird eine größere Rolle spielen.

Aktive Einbindung der Patienten

Ich denke, dass es grundsätzlich nötig ist, das Informationsgefälle, das wir zwischen den Experten im Gesundheitswesen und den medizinischen Laien haben, zu verbessern, denn da haben wir auch oft ein Spannungsfeld. Ziel ist für mich der mündige Patient. Nur dann funktioniert Gesundheitskompetenz, wenn die Patient:innen sich mitgenommen fühlen. Wir brauchen aber auch effektivere Diagnosen, die eine bessere Vernetzung zwischen all den Akteuren ermöglichen. Dazu ist eine gute Dokumentation essenziell. Ich sehe da wirklich große Chancen in der elektronischen Patientenakte (ePA) und in der aktiven Einbindung der Patienten.

Zuschlag für Zentren und Verbesserung der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV)

Die Mehrheit der Patientinnen wird ambulant oder in Institutsambulanzen versorgt. Damit haben wir das Grundproblem, dass die NAMSE-Zentren nicht finanziert sind, unter anderem auch, weil die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nicht nachkommen. Die schleppende Entwicklung in der ambulanten Versorgung – Stichwort ASV – kommt noch dazu. Deshalb ist für mich der Lösungsansatz, die Zentren anders zu finanzieren, also eine Zuschlagsregelung für diese Zentren zu bekommen. Zum Thema ASV: Die Kalkulation des EBM muss verändert werden, besondere Aufgaben müssen refinanziert werden und das Anzeigeverfahren vereinheitlicht werden. Wir haben mit der Vielfältigkeit in den Bundesländern zu kämpfen, aber wir sind entschlossen, etwas zu machen.

Sektorenübergreifende Vernetzung durch Digitale Anwendungen und KI

Wir brauchen nicht unbedingt Beispiele aus anderen Ländern. Wenn wir diesen Instrumentenkasten, den wir schon haben, richtig anwenden, kommen wir in der Versorgung weiter. Hier nenne ich vor allem die Bundesländer. Kriterien für Zentren müssen noch ausgearbeitet werden und auch die deutschen Zentren müssen sich besser miteinander vernetzen. Die Digitalisierung muss einfach besser genutzt werden. Wir können ganz anders kommunizieren, wenn die Telemedizin ausgebaut ist. Der Austausch von Informationen unter medizinischen Expert:innen muss sektorübergreifend besser werden. Deswegen muss die Nutzung von KI auch hier Einzug finden und der stärkere Fokus auf den digitalen Anwendungen für die Patienten liegen, um sie besser einzubinden.

Wirtschaftliche Fehlanreize beseitigen

Die wirtschaftlichen Fehlanreize, die wir haben, müssen ausgebügelt werden, und dazu muss man die Ambulantisierung durch diese sogenannten Hybrid-DRGs vorantreiben. Grundsätzlich müssen wir auf die Rolle von profitorientierten Unternehmen in der Versorgung schauen: im Bereich der MVZs, aber auch im Bereich von Private Equity in den Pflegeeinrichtungen. Wir haben nach wie vor das Kosten- und Datenproblem bei den Orphan Drugs. Wir brauchen eine Eindämmung der Kostenbelastung durch die Halbierung der 50 Millionen Euro-Grenze. Aber grundsätzlich möchte ich, dass die gute Versorgung mit den Orphans in Deutschland weiter so läuft und dass die Industrie den Prozess konstruktiv begleitet.

Patientenversorgung im Fokus

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit den beschriebenen Maßnahmen den Transfer von Wissen zu den Patient:innen verbessern, wir stärken die Patientenrechte im G-BA, wir legen den Fokus auf die Versorgungsstrukturen, wir legen vor allem den Fokus auf eine auskömmliche Finanzierung, was elementar wichtig ist für eine gute Versorgung.