PATIENT – Selbstbestimmung versus Fremdbestimmung

Aus der Perspektive der Patienten-partizipation

Patientenpartizipation bringt Arzt und Patient auf Augenhöhe

Ein Interview mit PD Dr. Jens Ulrich Rüffer

Jens Ulrich Rüffer ist Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie, Vorsitzender der Deutschen Fatigue-Gesellschaft, Mitglied der Deutschen Krebsgesellschaft und war viele Jahre Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie. Er hat sich die Veränderung der Arzt-Patienten-Kommunikation und die Aufklärung in der Medizin zur Aufgabe gemacht und 2017 einen Antrag beim Innovationsfonds gestellt, der die bessere Einbindung von Patienten in den Behandlungsablauf zum Ziel hat.

„Ich glaube, in diesem Gesundheitssystem nutzen wir die wichtigste Ressource nicht ausreichend. Das ist nämlich der Patient selbst, der beitragen kann zur Behandlung.“

Erfolgreiche Therapien brauchen aktive Patienten! Patientenpartizipation hat ein ganz klares Ziel, nämlich die Patienten wirklich in den Mittelpunkt der Bemühungen zu stellen und ihnen die Möglichkeit zu geben, durch Teilhabe mitzubestimmen, welche Behandlungen sie bekommen, um dann auch erfolgreicher behandelt werden zu können. Denn ein Beitrag, den der Patient leisten kann, ist seine Adhärenz, die Therapietreue. Das vom Innovationsfonds seit 2017 geförderte Projekt setzt erstmalig die Prozesse von Shared Decision-Making in einem kompletten Krankenhaus der Maximalversorgung um: dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel. Das SHARE TO CARE-Programm unterstützt Patientinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte, gemeinsam eine Gesundheits-Entscheidung zu treffen, die auf die persönlichen Bedürfnisse der Betroffenen abgestimmt ist.

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Kernbotschaften

aus dem Interview mit
PD Dr. Jens Ulrich Rüffer

Patienten können zur Verbesserung ihrer Therapie beitragen

Wir haben unser Projekt zur patientenzentrierten Medizin 2017 mit einer Gruppe von Menschen geplant, deren Antrieb es war, Patienten wirklich in den Mittelpunkt des Geschehens zu stellen und Ihnen die Möglichkeit zu geben, mitzubestimmen, welche Behandlungen sie bekommen. Mir persönlich ist das besonders wichtig, weil ich glaube, dass wir in diesem Gesundheitssystem die wichtigste Ressource nicht ausreichend nutzen. Das ist nämlich der Patient selbst, der zur Behandlung beitragen kann, zur Adhärenz, also der Therapietreue. Wir haben immer komplexere Abläufe, wir haben immer komplexere Therapien, und wenn wir die Patienten dann nicht mitnehmen, dann ist das aus meiner Sicht ein katastrophaler Fehler.

Interventionsmöglichkeiten zur Umsetzung von SDM

Hinter dem Begriff Shared Decision Making (SDM) verbergen sich unterschiedliche Interpretationen. Wir haben uns für vier Interventionen entschieden, zwei für die Patientenseite mit Informationen und Fragemethoden, zwei für die Arztseite mit Schulungen und Trainings für die sogenannten Entscheidungsunterstützer. Das zusammengefasst ergibt dann SDM und wir haben bei unseren Untersuchungen zeigen können, dass die Kombination, die wir gewählt haben, sehr effektiv ist.

Entscheidungshilfen sind auch auf seltene Krankheiten anwendbar

Wir haben etwa 56 Krankheitsbilder, die 80% des Arbeitsalltags eines Arztes ausmachen. Für diese Situationen haben wir Entscheidungshilfen hergestellt. Diese generischen Interventionen führen am Ende dazu, dass auch Patienten mit seltenen Erkrankungen davon profitieren werden: vom Training der Ärzte, vom Training der Decision Coaches und von dem Patienten-Fragekatalog. Die sind völlig unabhängig von der Erkrankung, aber wesentlich, weil sie eine Haltungsänderung mit sich bringen. Wenn ich den Patienten mit einer seltenen Krankheit mit einbinde, dann kann er genauso davon profitieren wie ein Patient mit einer häufigen Erkrankung.

Evaluation der Ergebnisse

Wir haben, weil es ja ein Innovationsfonds-Projekt ist, vorher ganz klar definieren müssen, an welchen Parametern wir messen, ob diese Intervention funktioniert hat oder nicht. Wir sind also durch dieses Universitätsklinikum Kiel durchgegangen und haben jede einzelne Abteilung umgestellt. Und wir haben eine klassische Vorher-Nachher-Untersuchung gemacht und jetzt die ersten Ergebnisse publiziert, die zeigen, dass die Parameter, die wir anhand von verschiedenen Fragebögen erhoben haben, tatsächlich die wahrgenommene SDM-Qualität haben. Die Qualität hat deutlich zugenommen, und zwar in dem Maße zugenommen, wie wir das vorher gefordert haben.

Umsetzung der Innofonds-Projekte in die Regelversorgung

Wenn es sich um geförderte Projekte aus dem Innovationsfonds handelt, die ein positives Ergebnis gezeigt haben, dann müssen sie innerhalb von zwölf Monaten in die Regelversorgung übernommen werden. Dann muss entschieden werden, ob diese Finanzierung durch die Länder, den Bund, die Rentenkasse oder die gesetzlichen Krankenkassen erfolgt. Das Münchner Projekt TARGET ist ja ein sehr spannendes Projekt, das sich sehr gut mit unserem Projekt zusammenführen lässt. Da geht es mehr um das System und die Systemabläufe; wir gehen mehr auf die Haltung. Von dieser Kombination können Patienten mit seltenen Krankheiten wirklich profitieren.

Den Patienten ins Zentrum stellen

Wir müssen aus meiner Sicht einen anderen Blick auf die Dinge bekommen. Wir müssen den Patienten wirklich mitnehmen und ins Zentrum stellen und dann wird sich automatisch die Situation für alle verbessern, da bin ich fest von überzeugt. Damit nutzen wir die wichtigste Ressource des Gesundheitssystems. Wenn man einmal gelernt hat, wirklich in den Schuhen des Patienten zu stehen, dann beurteilt man viele Dinge anders. Aber ich bin ganz optimistisch, dass wir das schaffen.