CARE – zwischen Anspruch und Realität

Aus der Perspektive der medizinischen Wissenschaft

Mit einer intelligenten Auswertung bereits vorhandener Daten könnten wir wesentlich weiter in der Diagnostik, im Monitoring und in der Erforschung therapeutischer Optionen sein

Ein Interview mit Prof. Dr. Christof von Kalle

Prof. Dr. Christof von Kalle ist Onkologe, Hochschullehrer und Unternehmer. Er ist Vorsitzender des Direktoriums für Klinisch-Translationale Wissenschaften am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Gründungsdirektor des Clinical Study Centers. Aus diesem Blickwinkel schauen wir mit dem Experten auf klinische Herausforderungen und untersuchen bestehende Unzulänglichkeiten, Lücken und auch Chancen. Gemeinsam wollen wir einen Blick auf die Möglichkeiten für eine Verbesserung der Versorgung werfen und daraus Handlungsempfehlungen ableiten.

„Wir benötigen auch für Patienten mit seltenen Krankheiten eine ‘Vision Zero’ – wir möchten keinen dieser Patienten in einem unbehandelten oder schlecht behandelten Zustand wissen.“

Patienten mit seltenen Krankheiten haben nicht nur den Nachteil, dass es bis zur Diagnose sehr lange dauern kann und sie bis dahin häufig einen Leidensweg hinter sich bringen müssen. Eine weitere Hürde tut sich auf, wenn sie in ihrer seltenen Krankheit auch behandelt und versorgt werden sollen. Nur für wenige seltenen Krankheiten gibt es Therapien, nur wenige Ärzte sind entsprechend spezialisiert, und das Gesundheitswesen insgesamt ist für die Versorgung seltener Erkrankungen nicht eingestellt.

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Kernbotschaften

aus dem Interview mit
Prof. Dr. Christof von Kalle

Schritte zu einer verkürzten Diagnose

Die Datenverarbeitung in der deutschen Krankenversorgung ist nicht gut genug aufgestellt, um sogenannte „Ausreißer-Konstellationen“ oder „Outlier“ rechtzeitig zu erkennen und die Zeit zur Diagnose zu verkürzen. Sofern komplexere Daten, wie beispielsweise genetische Sequenzierungen, erhoben werden, sind wir im normalen Versorgungsalltag oft nicht in der Lage, diese Daten sinnvoll zu verbinden, z.B. mit dem Phänotyp, und weiterzuverarbeiten.

Herangehensweisen anderer Länder

Andere Länder haben ähnlich gelagerte Probleme, jedoch deutlich offensivere Herangehensweisen an die Fragen der Datenverarbeitung und an die Anwendung neuer diagnostischer Methoden. Aufgrund der aktuellen Gesetzeslage könnten wir auch in Deutschland Patienten früher im Verlauf gründlicher untersuchen, etwa durch genetische Sequenzierung.

Betreuung von Patienten mit seltenen Krankheiten

Patienten mit seltenen Krankheiten sollten immer auch an ein Zentrum für seltene Erkrankungen angebunden werden, da dort Ärzte mit Erfahrung in einem bestimmten Indikationsgebiet kompetente Beratung bieten können. Viele Patienten sind auch wohnortnah an Facharztpraxen angebunden, die in Zusammenarbeit mit spezialisierten Zentren eine Betreuung ermöglichen. Für die Anzahl der Fälle und die erforderliche Untersuchungskapazität ist der benötigte Beratungsumfang bei Weitem noch nicht entwickelt. Insbesondere in der Routineversorgung gibt es nicht die Daten- und Kommunikationsstruktur, die hierfür erforderlich wäre.

Erkenntnisgewinn durch flächendeckende Register

Patienten mit seltenen Krankheiten sollten flächendeckend in Register und Registerstudien erfasst werden, um ihre Daten für die Forschung an akademischen Zentren und für die industrielle Forschung zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der Seltenheit ist es außerordentlich wichtig, Erkenntnisse aus jedem einzelnen Fall zu generieren.

Anwendbarkeit der Erkenntnisse auf andere Patientenpopulationen

Viele der diagnostischen- und therapeutischen Verfahren haben eine Art Plattformcharakter: Die Sequenzierungen, Phänotypisierungen und Immununtersuchungen lassen sich auf andere Erkrankungsformen anwenden und sollten dementsprechend umfassend untersucht und verarbeitet werden.